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Realismus - Referat



Realismus


Der Begriff Realismus, der Ende des 18. Jahrhunderts erstmals in Deutschland aufkam und um die Mitte des 19. Jahrhunderts zum zentralen Schlagwort der literarischen Diskussion wurde, benennt ein Problem, das bis heute nichts von seiner Virulenz verloren hat: das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit. Heute kennt der Begriff zwei Verwendungsweisen: Zum einen eine stiltypologische Verwendung von Realismus, mit der vor allem Werke von Film, Malerei, Fotografie und Literatur bezeichnet werden, die sich durch eine Hinwendung zur Realität, eine besondere 'Wirklichkeitstreue' auszeichnen. Zum anderen bezeichnet dieser Begriff die literarische Epoche, die in Deutschland auf die Literatur des Biedermeier und des Vormärz folgte (also ungefähr mit der gescheiterten Revolution von 1848 einsetzte) und gegen Ende des Jahrhunderts durch den Naturalismus abgelöst wurde.
Die Forderung nach adäquater Darstellung der Realität, die von den 'realistischen' Programmatikern Mitte des 19. Jahrhunderts erhoben wurde, brachte etwas wesentlich Neues in die Literatur. Forderungen nach Darstellung des »Wirklichen« in der Kunst waren freilich nicht neu, unter dem Begriff der Nachahmung der Natur, der Mimesis gibt es sie bereits bei Aristoteles. Seit der Wiederentdeckung seiner Poetik in der Renaissance wurde in Europa über das Problem der Naturnachahmung diskutiert.

Was ist also das eigentlich Neue am Begriff des Realismus, was unterscheidet ihn vom hergebrachten Begriff der Mimesis? Es ist vor allen Dingen die Tatsache, daß der neue Wirklichkeitsbegriff der Realisten auf die menschliche Gesellschaft bezogen ist, daß er die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen der Mensch lebt, zum zentralen Gegenstand seiner Darstellung macht.

Allerdings unterlag diese Hinwendung zur Gesellschaft einigen Einschränkungen: Es waren der bürgerliche Mensch und seine Lebensverhältnisse, die zum Thema des Realismus wurden; den sogenannten »Vierten Stand«, die Unterschicht also, entdeckte erst der Naturalismus als Thema der Literatur. Zudem ging es einer wichtigen Gruppe von frühen Realisten bevorzugt um die Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Bürgertums. Der einflußreiche Literaturtheoretiker Julian Schmidt formulierte in der Zeitschrift Die Grenzboten den Satz: »Der Roman soll das deutsche Volk da suchen, wo es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist, nämlich bei seiner Arbeit.« Gustav Freytag verwendete diesen Satz als Motto seines Romans Soll und Haben (1855), von dem Theodor Fontane durchaus zustimmend feststellte, er sei die »Verherrlichung des Bürgertums und insonderheit des deutschen Bürgertums«.

Die Rezipienten der realistischen Literatur kamen in jedem Falle aus der bürgerlichen Gesellschaftsschicht. Praktisch alle namhaften (und viele unbekannte) Autoren wurden in den Zeitschriften vorabgedruckt, die im 19. Jahrhundert große Bedeutung gewonnen hatten. Zu nennen sind hier vor allem die Blätter Deutsche Rundschau, Nord und Süd, Über Land und Meer, Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte und Die Gartenlaube; für den Bereich der Literaturkritik und -programmatik neben der bereits genannten Die Grenzboten die Zeitschrift Das Deutsche Museum.

Das Interesse an den wirtschaftlichen Verhältnissen, das Schriftsteller wie Gustav Freytag und Otto Ludwig (Zwischen Himmel und Erde, 1856) in ihren Romanen zeigen, hat verschiedene Gründe. Zum einen ging es den Autoren, die politisch zur nationalliberalen Bewegung zu rechnen sind, um die Darstellung dessen, was die Macht des Bürgertums ausmachte und seinen Anspruch auf politische Mündigkeit gegenüber dem Adel und den Landesfürsten begründete. Zum anderen hat die wirtschaftliche Tätgkeit in diesen Texten immer die Funktion einer moralischen Regulierungsinstanz: nur der gute, moralische und tüchtige Bürger kommt zu solidem wirtschaftlichen Wohlstand, der unmoralische Gegenspieler endet im wirtschaftlichen Ruin. Letztlich leben die Figuren dieser Texte also in einer heilen Welt, in der – auf der Basis des wirtschaftlichen Erfolgs – das Gute immer siegt und das Böse zugrunde geht.

Diese moralisierende 'Wirtschaftsideologie' gibt es bei den Autoren, die heute als bedeutendste Vertreter der Epoche gelten, mit Ausnahme Gottfried Kellers nicht. Keller hat dieses Denken von Der grüne Heinrich (1854–55/1880) bis in seinen späten Roman Martin Salander (1886) beibehalten; bei Theodor Fontane, Theodor Storm, Wilhelm Raabe und Conrad Ferdinand Meyer spielt das bürgerliche Wirtschaftsleben keine oder nur eine nebensächliche Rolle. Wenngleich sie also nicht für die gesamte Epoche charakteristisch war, so hatte die Literatur des bürgerlichen Wirtschaftslebens dennoch eine wichtige Schrittmacherfunktion in der Hinwendung zur gesellschaftlichen Realität.

Ähnliches gilt für die Dorfgeschichte, die eine gesellschaftliche Realität im Kleinformat schildert und dabei die Problematik sozialer Konflikte darstellen kann – allerdings um den Preis, daß sie eine Gesellschaftsform schildert, der in der Realität des 19. Jahrhunderts immer weniger Bedeutung zukam. Wieder ist als einer der bedeutendsten Repräsentanten dieser literarischen Form Gottfried Keller (Romeo und Julia auf dem Dorfe, Kleider machen Leute, aus der Sammlung Die Leute von Seldwyla, 1856/1874) zu nennen, daneben Berthold Auerbach (Schwarzwälder Dorfgeschichten, 1843–1854), Jeremias Gotthelf (Uli der Knecht, 1840, Die schwarze Spinne, 1842) und
Ludwig Anzengruber (Der Sternsteinhof, 1883).

Eine weitere wichtige literarische Strömung im Realismus ist das historische Erzählen. Zum einen ist darunter der sogenannte »Professorenroman« zu verstehen, zu dessen charakteristischen Vertretern Felix Dahn, Josef Victor von Scheffel (Der Trompeter von Säckingen, 1854) und Gustav Freytag (Die Ahnen, 1872–1880) zu zählen sind. Diese Romane sind stark mit historischem und kulturhistorischem Wissen unterfüttert und versuchen, eine Mischung aus Geschichtsschreibung und Roman zu bieten. Typischerweise werden große historische Umbrüche dargestellt, so etwa der Untergang Ostroms in Felix Dahns Ein Kampf um Rom (1876).

Diejenigen Autoren, die heute noch die höchste literarische Geltung beanspruchen können, also namentlich Theodor Fontane, Theodor Storm, Wilhelm Raabe und Conrad Ferdinand Meyer, lassen sich keiner der genannten Strömungen innerhalb des Realismus zurechnen. So schreibt Conrad Ferdiand Meyer zwar ausschließlich historische Erzählungen und Romane (u. a. Das Amulett, 1873, Jürg Jenatsch, 1874, Der Heilige, 1880, Die Versuchung des Pescara, 1887), doch ist sein Zugang zur Geschichte ein ganz anderer als der der Autoren des »Professorenromans«. Meyer geht es nicht um eine Ausbreitung historischen Wissens, sondern um die Darstellung der Verstrickung des Individuums in den politischen Verhältnissen seiner Zeit, in das ausschließlich am Machtgewinn orientierte Intrigenspiel. Dabei stehen für Meyer gerade die Figuren im Vordergrund, die aufgrund ihrer Weltfremdheit oder aber aufgrund ihres moralischen Ernstes nicht fähig oder gewillt sind, am Intrigenspiel mitzuwirken und die deshalb untergehen müssen.

Theodor Fontane, dessen Romanwerk (u. a. Schach von Wuthenow, 1883, Irrungen Wirrungen, 1888, Frau Jenny Treibel, 1892, Effi Briest, 1895) zum überwiegenden Teil durch den Begriff »Berliner Gesellschaftsroman« gekennzeichnet werden kann, stellt ebenfalls Figuren in den Vordergrund, die eine Ausnahmestellung in der dargestellten Gesellschaft innehaben, und zwar aufgrund ihrer Abweichung von den Normen der Gesellschaft. Der dominante Grundkonflikt bei Fontane resultiert aus dem Wunsch nach erotischer Selbstverwirklichung (zumeist bei der weiblichen Heldin) und der – auf die eine oder andere Weise – dadurch bewirkten Kränkung der Würde des jeweiligen (meist männlichen) Partners, die häufig zum Selbstmord führt.

Wilhelm Raabe hat mit seinen Figuren wohl die krassesten Außenseitergestalten des Realismus geschaffen (Der Hungerpastor, 1862, Abu Telfan oder die Heimkehr vom Mondgebirge, 1867, Horaker, 1876, Das Odfeld, 1889). Dabei fungiert häufig eine gesellschaftlich gut integrierte, biedere Figur als Erzähler (so in Die Chronik der Sperlingsgasse, 1857, Stopfkuchen, 1891 und Die Akten des Vogelsangs, 1893), während die Außenseiterfigur die eigentliche Hauptfigur ist.

Theodor Storm ist allenfalls in seinem Frühwerk (u. a. Immensee, 1849) der Erzähler einer beschaulichen, harmonischen Welt. Mehr und mehr tritt in Storms späteren Werk ein düsterer Pessimismus hervor, der seine Helden tragisch scheitern läßt (Aquis submersus, 1875, Zur Chronik von Grieshuus, 1884, Der Schimmelreiter, 1888).

Eine Ausnahmeposition nimmt auch Friedrich Hebbel ein, der einzige bedeutende Dramatiker dieser Epoche. Mag sein bürgerliches Trauerspiel Maria Magdalene (1844) in der Abbildung des kleinbürgerlichen Milieus durchaus 'realistische' Züge tragen, so sind seine vorwiegend historischen Dramen von der Außeinandersetzung mit dem deutschen Idealismus, vor allem mit Hegels Philosophie geprägt; in ihnen entsteht die Tragik aus dem Widerspruch zwischen dem Individuum mit seinem persönlichen Willen und den ihm entgegengesetzten Mächten der Gesellschaft und der Geschichte, die letztlich zur Vernichtung des einzelnen führen.

So läßt sich für die heute noch als bedeutend geltenden Schriftsteller des Realismus (mit der erwähnten Ausnahme Kellers) konstatieren, daß ihre Welt – ganz im Gegensatz zur Welt der frührealistischen Literatur des bürgerlichen Wirtschaftslebens – meist eine grausame Welt ist, in der das Individuum mit seiner Hoffnung auf persönliches Glück an den Konventionen der Gesellschaft und den Intrigen seiner Mitmenschen scheitert.

Quelle(n) für dieses Referat: -Internet



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