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Markus Werner-Zündls Abgang - Referat



Markus Werner
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Zündels Abgang

 
Biografie des Autors:
Markus Werner wurde am 27. Dezember 1944 in Eschlikon, Kanton Thurgau geboren und ist ein Schweizer Schriftsteller.
1948 zog die Familie nach Thayngen (Kanton Schaffhausen) um. Dort besuchte Werner die Schule und absolvierte 1965 die Matura. Anschließend studierte er Germanistik, Philosophie und Psychologie an der Universität Zürich und promovierte 1974 mit einer Arbeit über Max Frisch, dessen Einfluss auf Werners Schreiben bedeutsam ist. Von 1975 bis 1985 war er Hauptlehrer, von 1985 bis 1990 Lehrbeauftragter an der Kantonsschule Schaffhausen. Seit 1990 ist er freier Autor. Werner lebt heute in Schaffhausen.
Werke
• Zündels Abgang, Roman, 1984
• Froschnacht, Roman, 1985
• Die kalte Schulter, Roman, 1989
• Bis bald, Roman, 1992
• Festland, Roman, 1996
• Der ägyptische Heinrich, Roman, 1999


Auszeichnungen
• 1984 Literaturförderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung
• 1984 und 1993 Einzelwerkpreise der Schweizerischen Schillerstiftung
• 1986 Georg-Fischer-Preis der Stadt Schaffhausen
• 1990 Alemannischer Literaturpreis
• 1993 Thomas-Valentin-Literaturpreis der Stadt Lippstadt
• 1995 Internationaler Bodensee-Literaturpreis
• 1997 Preis der SWR-Bestenliste
• 1999 Hermann-Hesse-Preis
• 2000 Joseph-Breitbach-Preis
• 2002 Johann-Peter-Hebel-Preis des Landes Baden-Württemberg
• 2005 Gesamtwerkspreis der Schweizerischen Schillerstiftung
• 2006 Bodensee-Literaturpreis der Stadt Überlingen
• 2008 Ehrenpreis von Stadt und Kanton Schaffhausen
 
Inhalt:
Konrad und Magda beschließen, dieses Jahr ihren Sommerurlaub getrennt zu verbringen. Daher macht sich Zündel mit der Fähre auf den Weg nach Griechenland, verliert hierbei aber einen Zahn und kehrt deswegen vorerst wieder nachhause zurück. Er streitet mit seiner Frau und diese flüchtet zu Helen nach Bern, nachdem sie ihm eine Liste mit Vorwürfen seinerseits an sie hinterlassen hat. Hierbei handelt es sich aber nur um unbedeutende Sachen wie die Weinflasche beim Einschenken nicht dort zu halten, wo sich das Etikett befindet oder Bücher nicht zu Ende lesen.
Durch eine Lüge des Hausmeisters Schmocker über Männerbesuch bei Magda ist Konrad verletzt. Zuerst sucht er Rat bei seinem Freund Viktor und dessen Lebensgefährtin Vroni, dann macht er sich auf den Weg nach Genua. Neben einem schäbigen Hotel erwartet ihn dort noch die Einsicht des Verlustes seiner Partnerin. Die meiste Zeit verbringt er betrunken in Bars. Er lernt Nounou kennen, mit der er, aus Rachelust an seiner Frau, schläft. Beim Versuch, einen Revolver zu kaufen, wird er reingelegt. Als er wieder zuhause ankommt, geht er trotz seiner Alkoholisierung in die Schule, wo er durch sein Verhalten negativ auffällt. Nach zwei Tagen im Spital wird er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Nach Flucht aus dieser verbarrikadiert er sich in das Wochenend-Landhaus seines Kollegen Oswald. Von dort verschwindet er spurlos.

Personencharakterisierungen:
Konrad Zündel, die Hauptperson, ist Mitte dreißig, Lehrer für Geschichte und hat einen Hang zum Pessimismus. Dennoch ist er sehr feinfühlig und macht sich viele Gedanken über das Leben.
S.8 unten: „…stand auf und besah sein Gesicht im winzigen Spiegel über dem Lavabo. Ich bin eitel und gefalle mir trotzdem nicht, dachte er. Ich will auch in diesem Raum eine Spur hinterlassen, ein Zeichen setzen, ein verborgenes. Er hängte ein Bild der Jungfrau Maria ab, kehrte es um und schrieb auf die Rückseite: Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedengestelltes Schwein. J. S. Mill 1861“
Er besitzt einen feinen und zerbrechlichen Charakter, jedoch nicht das Selbstverständnis, die Erwartungen der anderen an ihn wie 'Erfolg zu haben' für sich selbst abzulehnen. So lebt er stets in diesem Zwiespalt, in der er sich immer tiefer verstrickt je mehr er versucht ihm zu entkommen.
Er ist unzufrieden mit sich selbst, will sich seine Fehler nicht eingestehen und projiziert alles auf seine Mitmenschen und den Rest der Welt. Er sieht nur das Schlechte an der Welt und hat außerdem somit ein falsches Weltbild, denn Verlogenheit meint nicht Erfolg im Leben, wie man im Laufe des Buches bemerkt.
S. 9 unten: „So weltfremd bin ich gar nicht. Ich kann lügen. Ich bin tauglich“.
Obwohl Konrad sich sehr stark beeinflussen lässt, hat er seine eigene Meinung, hat jedoch nicht den Mut, sie offen preiszugeben und dazu zu stehen.
S. 11 unten: „Hat Zündel in einem Gasthaus je reklamiert? … Nie!“
Er ist nicht mutig genug dazu und hat außerdem vielleicht Angst, zurückgewiesen zu werden.
S.38 Mitte: „Er schützt sich so vor dem Schmerz einer möglichen Abweisung…“
Er sieht sich selbst und seine Bedürfnisse nicht als sehr wichtig an. Nachdem er im Zug nach Mailand seines Geldes bestohlen wird, geht er zwar zuerst zum Polizeiposten, als er dann aber nicht einen Mann, der sich über die Mailänder Polizei beschwert, zurecht weisen kann, kam es dazu, dass „Er fand, wenn er nicht den Schneid habe, diesen fetten, bösen Menschen zurechtzuweisen, wolle er darauf verzichten, den Diebstahl seiner zweitausend Franken anzuzeigen.“ (S. 14 unten)
Doch einmal setzt er sich durch: „… im Aufstehen sacken sie heimlich die Mokkalöffel ein. Zündel hat es gesehen. Er hat nicht geschwiegen. Er hat gesagt: Legen sie die Löffel wieder hin…“ (S. 97 oben)
Er ist sehr abhängig von seiner Frau, doch das will er ändern.
S. 37 unten: „…es wäre ein schwerer Fehler, Magdas Vorhandensein als notwendige Bedingung unseres Lebenglücks zu empfinden.“
Konrads Frau Magda fühlt sich eingeengt, dass ihr Mann schon nach 3 Tagen wieder zuhause auftaucht, obwohl sie die Ferien getrennt verbringen wollten.
S. 23 unten, S. 24 oben: „Ich bin einfach nicht mehr bereit, deine Selbstverwirklichung mit Schuldgefühlen dir gegenüber zu bezahlen. … Sobald du weg warst, blühte ich irgendwie auf, es war als käme ich an die frische Luft, als könnte ich wieder atmen.“
Sie erkennt, dass sie die letzten Jahre viel zu sehr an ihren Partner gebunden war und zu wenig ihre Wünsche und Lebensziele verfolgt und verwirklicht hat.
Sie spielt mit dem Gedanken, ob er ihr vielleicht nicht gut tut, denn „Ich spüre doch, wie mein Selbstvertrauen abgebröckelt ist in diesen Jahren…“ (S. 24 unten). Das alles wird dadurch ausgelöst, dass ihr Lebensgefährte immer wieder aufs Neue Mängel an ihr entdeckt und ihr alltägliches Verhalten kritisiert.
Nach dem Sommer ohne ihren Mann bemerkt sie aber, dass ihr noch viel an ihm liegt und sie sich eine Zukunft mit ihm vorstellen kann.
S. 134 Mitte: „… Ich wünsche mir ein Kind! – Jetzt plötzlich? fragte er. – Ja, antwortete sie, seit zwei Wochen wünsche ich mir ein Kind.“
Nuonuo ist die Frau, die Zündel in Portofino in einem Café kennenlernt. Ihr eigentlicher Name ist Nadine oder Eve, das kommt nicht klar zum Vorschein. Nuonuo ist der Name einer griechischen Büchsenmilch, die sie sehr gerne trinkt. Konrad lässt sich von ihr Pansoti nennen – eine seiner liebsten ligurischen Teigwarenspezialitäten. Nach einem Abendessen zu zweit in ihrer Wohnung in der Altstadt von Rapallo schlafen sie miteinander. Zündel ist voll mit Rachegefühlen, da er denkt, seine Ehefrau hätte einen Liebhaber. Zuerst widersteht er zweimal dieser Rachelust, zuerst sprach ihn eine Animierdame in seiner Heimat an, dann ging er mit einer Dirne aufs Zimmer, verschwand aber nach der Bezahlung sofort wieder, ohne deren Dienste genützt zu haben.
Nuonuo wird durch Konrad sehr an ihren verstorbenen Mann Martin erinnert. Ihn macht das traurig, weil er sich als Ersatz vorkommt, doch sie meint „Das ist doch immer so … Jedes Paar besteht aus zwei Lückenbüßern! Das kann gar nichts anderes sein als die gegenseitige Bereitschaft, dem andern das Original zu ersetzen!“ (S. 102 Mitte)
Mitten in der Nacht schleicht er sich aus ihrer Wohnung, da er mit keinem Menschen mehr eine Verbindung eingehen will.

Zündels Vater Hans Fischer, hat teilweise seinem Sohn das Leben vorgelebt.
S. 78 Mitte: „Kommt am Vorabend seiner Geschäftsübernahme in die Küche. Sagt: Elisabeth, jetzt hab ich alles, was ich nie wollte: eine Familie, ein Geschäft, eine berechenbare Zukunft. Ich ersticke.“
Er ist nicht glücklich mit dem, was er hat; er gibt sich nie mit etwas zufrieden sondern will immer das, was er nicht hat.
Nach dieser Aussage verschwand er. Nach einem halben Jahr meldet er sich aus Alexandria und fordert die Anreise seiner Gattin samt Kindern. Diese entscheidet sich aber dagegen und die Scheidung wird eingereicht.
Er reist nach Genua, kommt hier krank an und wird von der Krankenschwester Johanna versorgt. Die beiden verlieben sich, doch Hans muss weiterziehen, er meint „Nähe wird durch Ferne möglich, und an der Gegenwart krepiert die Leidenschaft. Wenn wir uns trennen, bleiben wir uns.“ (S. 79 Mitte)
Johanna Zündel leidet sehr und wird nach einem Selbstmordversuch in die Anstalt gesteckt. Ich glaube, auch hier liegen die Wurzeln für Zündels Verhalten. Sie bemerkt die Schwangerschaft, danach geht es ihr besser; „im eisigen Januar neunundvierzig“ (S. 79 unten) bringt sie Konrad zur Welt. Zum 7. Geburtstag schickt er viel Geld, danach besucht sie ihn unangekündigt – über dieses Treffen wird nicht berichtet. Er reist nach Kanada, sie bleibt in der Schweiz.

Gattung / Aufbau:

Die Handlung des Buches erstreckt sich über den Zeitraum der Sommerferien in der Schweiz im Jahre 1984, also ca. 6 Wochen.
Man wird gleich am Anfang des Buches, also auf der 1. Seite, mitten in die Handlung „hineingeschubst“. Es ist kein einleitender Text vorhanden. Der erste Satz ist „Schöne Kindheit…“ (S. 7). Ich finde, das Buch ist wie ein Leben, es beginnt sozusagen mit der Kindheit, und endet mit dem Verschwinden der Hauptperson, die man dann als tot ansehen könnte. Dazu passen auch sehr gut die Kommentare zum Buch: S.5: „Zum Warmwerden lag allem Anschein nach keine Ursache vor“ von Robert Walser und „Ein Senkrechtstart“ auf dem hinteren Buchdeckel von der Schweizer Zeitung „Tages-Anzeiger“.

Der Text ist in 24 Kapitel geteilt:
Das 1. Kapitel spielt sich in einem italienischem Warenhaus und Hotel ab, auf der Fähre nach Griechenland ab, wo er einen Zahn verliert und im Zug nach Mailand wo er einen abgeschnittenen Finger auf der Toilette findet.
Das 2. Kapitel ist ein Einschub des Pfarrers Viktor Busch.
Bis zum 9. Kapitel liest man von Zündels Rückkehr nachhause, der Flucht seiner Frau und seiner erneuten Abreise.
Vom 9. bis zum 21. Kapitel befindet sich Zündel in Genua, dann kommt er nachhause und in Kapitel 23 liegt er bereits im Krankenhaus und wird dann weiter in eine psychiatrische Klinik überwiesen.
In Kapitel 24 wohnt er noch einige Tage im Landhaus, bis er unauffindbar verschwindet.
Im ganzen Text gibt es eigentlich nicht viele Erzählhöhepunkte, der Schluss könnte einer sein. Außerdem gibt es keine Nebenhandlungen, es wird nur Zündels Ablauf geschildert.
Es ist in der Er-Erzählform von Viktor Busch geschrieben und wurde nach Berichten und Notizen rekonstruiert: „Ich kenne Aufzeichnungen Zündels, ich kenne mündliche Berichte Zündels, und ich kenne (kannte) Konrad Zündel selbst recht gut…“ (S. 15 Mitte).
Die Haltung des Erzählers zur Hauptperson kommt im folgenden Textzitat sehr gut zum Ausdruck.
S. 15 Mitte: „Ich hatte ihn gern. Dabei verehre (verehrte) ich ihn so wenig wie er sich. Im Gegenteil. Zu oft war und ist meine Haltung Konrads Leben gegenüber die gleiche wie seine eigene, nämlich eine fatal kommentierende.“

Sprache / Stil:

Oft werden Fremdwörter nicht übersetzt, sowohl französische wie „Je suis jolie, n’est-ce pas, Pansoti, je suis jolie!“ (S. 100 Mitte), als auch italienische wie „Non c’é…“ („Es gibt nicht“, S. 73 Mitte) und „…‘buona sera‘…“ („Guten Abend“, S. 90 unten).

Teils ist die Rechtschreibung veraltet, dies fällt bei S. 82 unten auf: „… stekkenblieb…“ und S. 156 oben „..schikken…“.

Auch Zahlen über 20 werden oft ausgeschrieben, wie bei S. 14 unten „… zweitausend Franken…“ und S. 79 unten „… Januar neunundvierzig…“.

Außerdem werden öfters Schimpfwörter verwendet. Zündel beschimpft zum Beispiel seine Frau: „ Triebhafte Sau… Niederträchtige Schlampe. Verlogenes Luder. Schamlose Schlitzgeige. Dumme, blöde, falsche, treulose, herzlose, eigensüchtige Kuh.“ (S. 65 oben)
Manchmal, wenn Kraftwörter verwendet werden, wird sein Dilemma damit eher ironisiert:
„Aufhören ist feig. Weitermachen ist feig. Aufhören ist tapfer. Weitermachen ist tapfer. Und das Leben ist eine Frage der Wortwahl.- Ach Scheißdreck.“

Die Hauptperson führt während seiner Reise Tagebuch, um klaren Kopf zu bewahren. Er lässt darin seinen Gedanken freien Lauf und kommt auf neue Erkenntnisse. Sowohl die Erzählung seines Freundes Viktor in der Ich-Perspektive, als auch die Notizen Konrads berichten in knapper Sprache von den Geschehnissen. Ihre Darstellung der alltäglichen Erfahrungen Zündels, die erst durch ihre Übersteigerung zur Tragödie werden, ist
nicht schwermütig, sondern humorvoll.

Wichtige Erfahrungen Zündels an zentralen Stellen weisen auf die Sensibilität Zündels hin. Auch dass sein Vater die Familie verließ, ist ein weiterer Grund für Konrads Verhalten. Dadurch lässt sich auch die Verlustangst gegenüber seiner Frau begründen.

Im ganzen Text treten keine Zeitsprünge auf.

Entstehung /Quelle des Autors:

Der Text wird hauptsächlich rückblickend von einem Freund Konrads, Viktor Busch, erzählt, mit Einschüben des Erzählers. Der Pfarrer erzählt die Geschichte Zündels anhand von Aufzeichnungen und mündlichen Berichten Zündels, aber auch aus eigenen Erfahrungen, da ja Zündel sein Freund war.
Fast das ganze zweite Kapitel handelt davon, dass der Erzähler seine Quellen angibt und auch bemerkt, dass er alles „wahrheitsgetreu“ wiedergibt und nichts verschönert.
Im 12. Kapitel meint Viktor Busch ehrlich, es wäre „…schwierig, die folgende Woche zu rekonstruieren.“ (S. 77 oben) Das sei darauf zurückzuführen, dass die Hauptperson wenig erlebt habe und auch nicht viel notierte, außerdem datierte er seine Blätter selten.
Im letzten Kapitel wird anfangs in der ich-Perspektive geschrieben, da der Pfarrer Konrad besucht. Er will im noch Mut machen, weiterzukämpfen: S. 151 Mitte „…lass dich nicht unterkriegen! … Zuerst wird gelebt, lieber Konrad, antwortete ich, über die Abdankung können wir in einigen Jahrzehnten wieder reden!“
Er sieht immer das Gute in Menschen und versucht sie zu animieren, weiterzukämpfen.
Auch wenn ihn andere warnen und abhalten wollen, versucht er sein Möglichstes.
S. 156 Mitte: „Herr Pfarrer, sagte sie, Konrad war mir nie ganz geheuer, sicher ein lieber Mensch, aber irgendwie igelig, irgendwie unzugänglich, seien Sie vorsichtig, mein Mann hält ihn – momentan zumindest – für unberechenbar! – Ja, Frau Scholl, antwortete ich, aber er wird mir nichts antun, wir kennen uns seit bald zwanzig Jahren, er spürt mit Bestimmtheit, wie gern ich ihn habe.“
Die Schriftstücke, aus denen das Buch zusammengesetzt ist, kamen teilweise auch von Hans Fischer, der Johanna Zündel schrieb, Konrad hätte ihm „‘allerlei Schriftstücke‘, die Zeugnis ablegen von ‚allerlei Widerfahrnissen und Tendenzen des abgängigen Sohnes‘“, zukommen lassen. „Dies blieb die einzige Spur.“ nach dessen Verschwinden. (s. beides S. 160 unten).

Interpretation:

Ich finde das erste auffällige Merkmal ist schon, dass als Buchdeckel eine untergehende Sonne gewählt wurde. Das passt sehr gut mit dem Titel „Zündels Abgang“ zusammen, dass man ‚Untergang‘ mit ‚Abgang‘ gleichsetzen kann.

Gleich auf der ersten Seite (S. 7) kommt außerdem Zündels Helferinstinkt zur Schau, als er einem erbrechenden Kind in einem Warenhaus in Italien noch rechtzeitig eine Plastiktüte unterhält. Er ist der Einzige der handelt, die einen schauen entweder tatenlos zu oder wenden sich angeekelt ab. Trotzdem fühlt er sich danach nicht gut, als ‚Helfer‘, sondern als „Ein Verräter …., ein Gaffer mit Faust im Sack.“ (S. 7unten) Er meint, er hätte zwar gehandelt, doch das zu spät und falsch. Ich denke jedoch das Gegenteil dazu.

Sehr gut kommt die Unsicherheit der Hauptperson auf S. 34 oben zum Vorschein: „Findest du’s blöd? Fragte er. – Ich sagte: Warum fragst du nicht, ob ich es gut finde?“. Er stellt sich gleich schlechter dar, macht sich erst gar keine Hoffnungen, um sich selbst so vor einer Enttäuschung zu schützen.

Er findet, seine Frau übertreibt total, als er seinem Freund Viktor fragt, wie oft er seiner Frau Vroni etwas vorwirft und hochrechnet. „… 570mal kritisiert! Und ich? Kaum zwanzig lumpige Vorwürfe!“ (S. 34 unten) Dabei bedenkt er aber nicht, dass dies keine genau Angabe ist, und seiner Frau mit Bedenkzeit sicher noch mehr Vorwürfe einfallen würden. Außerdem will er sich nicht eingestehen, dass er hier eigentlich den Fehler gemacht hat, denn er hat zu viel kritisiert, doch er schiebt wieder die Schuld auf seine Frau, dass sie übertreibt.

Auf S. 37 bemerkt er, „dass ihm Magda kaum fehlte“. Er ist froh, allein zu sein, endlich wieder seinen Kaffee schlürfen und rülpsen zu dürfen und nicht reden zu müssen, da er unter „morgendlichem Sprachekel“ leidet.

„… Treu war ich auch, obwohl…, ja obwohl! Eine Ehe platzt, wenn die Obwohls nicht gelebt werden, und wenn sie gelebt werden, platzt sie auch.“ Konrad ist wirklich deprimiert über das vermeintliche Ende seiner Ehe und fragt sich, warum er alle „Regeln“ immer eingehalten hat, obwohl es am Ende so oder so nicht zu Glück beiderseits geführt hat.

In einer durchzechten Nacht schreibt Konrad sich selbst ein neues „Wörterbuch“ (S. 68 oben bis S. 70 unten). Er will aus seiner alten Welt ausbrechen und nicht mehr alles so sehen wie früher, deswegen gibt er vielen Wörtern eine andere Bedeutung. Er will sich so wieder besser darstellen, als er eigentlich ist, und die Schuld auf andere schieben. „Eigensucht heißt jetzt Selbstentfaltung. Rücksichtnahme heißt Selbstverlust. Roheit heißt Freimut. Treulosigkeit heißt Spontaneität. Charakterlosigkeit heißt Aufgeschlossenheit für alles Neue. Hohlheit heißt Empfänglichkeit. Das Unvermögen, allein zu sein, heißt kommunikative Kompetenz.“ (S. 68 oben)

Zündel lernt aber auch nicht durch Fehler anderer, er will alles selbst ausprobieren und selbst an seine Grenzen stoßen. Das Ende des 13. Kapitels handelt von einem Kind und einem Vater, die nacheinander in einen Seeigel treten. Konrad lässt sich davon nicht abschrecken, sondern „trat … erwartungsgemäß auf einen Seeigel.“ (S. 85)

Dass er sich von Nuonuo „Pansoti“ nennen lässt („..eine ligurische Teigwarenspezialität, die ich besonders gern esse.“ S. 95 unten) und nicht seinen wahren Namen angibt, sehe ich so, dass er nicht zu sich steht und vor sich selbst flüchtet. Dass er den Namen einer Speise nimmt, und nicht einen anderen Menschennamen, meint, er flüchtet in eine Fantasiewelt. Doch die Flucht vor sich selbst wird niemals jemandem irgendwo gelingen.





Nach der Liebesnacht bei Nuonuo flüchtet er heimlich nachts, denn er meint „Morgen wären vielleicht schon hundert Messer nötig, um uns auseinanderzuschneiden, und übermorgen tausend. Ich habe mir neulich versprochen, unzugehörig zu sein…“ (S. 102 unten, S. 103 oben) Ich finde diese Entscheidung sehr klug, da dieser Ausrutscher einmalig war und wahrscheinlich keine Zukunft hätte, außerdem ist er noch verheiratet. Vielleicht war auch der Grund, dass er eingesehen hat, dass man auf einem Selbstfindungsurlaub sich nicht an jemanden binden kann und möglicherweise empfindet er auch, dass er ein Einzelgänger ist und es besser ist, nicht für jemanden Gefühle aufzubauen, da man dadurch verletzt werden kann und außerdem hatte er in seiner Beziehung mit Magda auch kein Glück.

Von S. 104 unten bis S. 107 Mitte spielt er in Gedanken ein Spiel mit Nuonuo, indem es um Sinnfragen geht, wie zum Beispiel „Warum gibt es Treue?“. Für jede richtige Antwort erhält man ein Streichholz. Ich denke, Zündel wünscht sich einfach eine Antwort auf so viele Fragen, findet jedoch keine, vor allem nicht in Bezug auf sein Leben und seine Zukunft. Dass Nuonuo am Ende meint, er habe „…kein einziges Zündholz verdient“, könnte auch meinen, er hätte nichts verdient, denn eigentlich weiß er ja gar nichts vom Leben. Damit kommt man wieder darauf zurück, dass Zündel deprimiert ist.

Wirkung auf die Zeit:

Markus Werners Haltung zu seinem Heimatort ist nicht gerade positiv, er meint: ,,Ich bin gern irgendwo zuhause, ich bin auch gern hier zuhause. Ein paar vertraute Menschen und eine Landschaft, die mir lieb ist, erleichtern mir das Hiersein. Mehr kann ich eigentlich nicht dazu sagen. Die Schweiz hingegen - als Nation, als Summe aller Schweizer, als Mentalität - ist mir zwar nicht gleichgültig, aber unbegreiflich. Vielleicht wohne ich in der Schweiz, weil ich mich im Ausland pausenlos schämen müsste, ein Schweizer zu sein.“ Folglich dieser Aussage wurde Werner gefragt ob er trotzdem auf irgendetwas hoffe, oder ob ihm irgendetwas Hoffnung mache.

Werner interessiert es nicht, wer seine Bücher liest, er versucht, während des Schreibens, die Leser zu vergessen, weil der Gedanke an sie ihn stört und hemmt. Er wünscht sich, dass sein Leser in irgendeiner Weise irritiert, beunruhigt und verunsichert wird. Er soll stutzen über das Buch und es nachdenklich zuklappen.

Historischer Hintergrund:

Das Werk ist 1984 entstanden.
Man sprach von einem ,,außerordentlichen literarischen Debüt".


Interessant ist, dass in der der Schweizer Literatur, vor allem Gegenwartsliteratur, das Thema des Fremdseins in der Welt besonders aktuell ist. Das erstaunt zuerst, da die Schweizer, verschont von den beiden Weltkriegen, vom Faschismus und wirtschaftlichen Zusammenbrüchen, in einer Sicherheit lebten/leben und allen Grund haben, mit sich selber zufrieden zu sein.
Markus Werner ist ein typischer Schweizer Schriftsteller, obwohl ihm teils die Distanzierung von den politischen und sozialen Strukturen der Schweiz fehlt. Er ist kein politischer Autor. Bei ihm spielt die zentrale Rolle der Gegensatz von Individuum und Gesellschaft, der eine Konstante aller Literaturen bildet, aber in der der Schweizer besonders häufig vorkommt.
Das Individuum, der Einzelne, ist dabei ein Intellektueller, das Original, wie der Lehrer Konrad Zündel oder die anderen Hauptpersonen in Werners Büchern. Es geht immer um den Einzelnen, der einer fremden gesellschaftlichen Realität gegenübersteht, an der er zu scheitern droht und häufig auch scheitert, bei Zündel passiert das.
Das ist vielleicht darauf zurückzuführen, das in der Schweiz der Gegensatz zwischen den sogenannten Intellektuellen, den Künstlern und Schriftstellern, einerseits und dem Volk, der Allgemeinheit und Öffentlichkeit, andererseits immer stärker erlebt wurde als etwa in Deutschland, Österreich oder Frankreich. Auch andere Autoren spiegeln das, etwa wie Max Frisch, der in der Schweiz als Inbegriff eines Intellektuellen galt, die Schweizer selbst aber als „hoffnungslos … fixiert“ nannte. Auch Markus Werner ist ein Intellektueller, er war Mittelschullehrer und ist seit 1990 als freier Schriftsteller tätig. Man meint, in seinen Büchern steht alles drin, was er zu sagen hat. Dazu gefällt mir auch das Zitat von Friedrich Nietzsche aus einem Interview mit Markus Werner: „Der Autor hat den Mund zu halten, wenn sein Werk den Mund auftut.“ Möglicherweise enthält „Zündels Abgang“ auch autobiografisches Material, zumal der Schweizer Gegenwartsliteratur nachgesagt wird, sie besitze eine ausgesprochene Neigung zum Autobiografischen.
In Markus Werners Romanen gibt es viele Gegensätze: Intellektueller und bürgerlicher Alltag, Außenseiter und Gesellschaft, vertraute Welt und Fremdheit der Welt, Vaterliebe und Verlust des Vaters, Gesundung und Untergang, Banales und Tragisches, Lebensdrang und Vergänglichkeit, Liebe und Tod. Diese trifft man zwar in Literaturen in aller Zeit an, jedoch gibt es hier den Unterschied, dass es zum Ausgleich kommt. Zum Beispiel findet der Außenseiter in die Gesellschaft zurück oder der Zwiespalt zwischen Intellektuellem und Bürger wird aufgehoben. Bei „Zündels Abgang“ jedoch verschwindet die Hauptperson, nachdem sie aus der psychiatrischen Klinik geflogen ist, aus der Realität, anstatt in den bürgerlichen Alltag zurückzukehren.




Eigene Meinung:

Mir hat das Buch sehr gut gefallen.

Das Buch greift viele Themen aus dem erlebten und gedanklichen Umfeld der Hauptperson auf: Liebe, Treue, Ehe, das Verhältnis von Mann und Frau in Zeiten der Gleichberechtigung, Selbstmord, Tod, Vaterschaft, Religion und Selbstbehauptung.

Bei S. 11 unten: „Vor dreizehn Jahren hatte Zündel in Sardinien … einen von kleinen weißen Maden wimmelnden Schafskäse bis zur Hälfte aufgegessen.“ ist mir eingefallen, dass mir meine Gastfamilie in Sardinien von diesem Käse erzählt hat, außerdem habe ich auch ein Video gesehen, wo mein Gastvater das gegessen hat.

Mir gefällt außerdem der Text auf der Rückseite des Buchdeckels „Kann ein Autor erwarten, dass sein Held ernstgenommen wird, wenn er ihn schon auf den ersten Seiten einen Zahn aus dem Mund fallen lässt und wenig später auf der Zugtoilette einen abgeschnittenen Finger finden lässt? Er kann, wenn es ihm wie Markus Werner gelingt, das Komische und das Absurde mit dem Bitterernsten zu verbinden.“ Durch diese Sätze war ich zuerst etwas abgeschreckt, doch es ist wirklich faszinierend; das Buch ist wirklich sehr gut geschrieben.

Wie Zündel (S. 47 unten / S. 48 oben) erzählt, wie er und seine Frau Magda sich am Anfang ihrer Beziehung verhalten haben (sie nimmt das harte Kissen, obwohl sie das weiche lieber hätte, und er schläft auf dem weichen, auch wenn er das harte bevorzugt hätte), fand ich das sehr schön beschrieben. Jedoch waren die Beiden schon am Anfang nicht ehrlich zueinander, da sie das Beste für ihren Partner wollten und selbst zurücksteckten.




Kommentare zum Referat Markus Werner-Zündls Abgang: