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Interpretation "Bericht über Hattington" (Walter Jens, 1963) - Referat



Die Kurzgeschichte „Bericht über Hattington“ (1963) von Walter Jens handelt von der großen Gefahr, die von Angst ausgeht und was für fatale Folgen es haben kann, wenn Menschen innerhalb einer Gesellschaft einander nicht mehr vertrauen und sich die damit verbundene Gewaltbereitschaft immer weiter ausspitzt.

Die Kurzgeschichte beginnt mit dem Ausbruch des Verbrechers Hattington aus dem Zuchthaus, woraufhin im nahegelegenen Knox Angst vor seiner Rache ausbricht.

Als Hattington nach langer Suche nicht gefunden wird, beginnen die Bewohner Knox‘ sich gegenseitig zu verdächtigen, insbesondere, nachdem der erste Mord geschieht.

Die Situation in der Stadt spitzt sich bis hin zu Randalen, Drohungen und sogar Lynchungen zu, bis im Frühling die Leiche Hattingtons gefunden wird, der es nie bis zu Stadt geschafft hat.

Die Ereignisse rund um Knox werden von einem unbenannten Ich-Erzähler geschildert, der nur wenige Informationen über die Stadt gibt.

Da die Charaktere englische Namen tragen und von der kanadischen Grenze gesprochen wird (Z.25), kann davon ausgegangen werden, dass „Bericht über Hattington im US-Amerikanischen Norden spielt. O es sich bei Knox um einen Stadtteil Colvilles (Z.5) oder um eine Kleinstadt handelt, lässt die Kurzgeschichte offen.

Sehr viel detaillierter als die Stadt selbst werden aber die Handlungen ihrer Bewohner beschrieben.

Nachdem, der entflohene Verbrecher (Z-3) nach intensiver Suche nicht gefunden wird, sich nicht einmal „die schwächste Fährte[ findet]“ (Z. 17), machen sich die Einwohner Knox‘ Sorgen und beginnen, Vorkehrungen zu treffen, wie wochenlanges Verreisen oder die die Anschaffung von Revolver (Z.13) und Wachhund (Z.26).

Als Hattington weiterhin unentdeckt bleibt, beginnen sie, ihre Nachbarn zu verdächtigen (Z.20) und „das Misstrauen beherrsch[t] die Stadt“ (Z. 21).

Dieses Misstrauen spitzt sich immer weiter zu (Z.22/23) und nach einem Mord und der Vergewaltigung einer 14jährigen kommt es in der Stadt zu einer regelrechten „Hexenjagd“ (Z.38)

Hattington selbst gerät dabei immer mehr in den Hintergrund, vielmehr werden alte Fehden wieder entfacht (Z.62), rassistische Spannungen entladen sich (Z.61) und Jugendliche verfallen in „Unordnung und Zuchtlosigkeit“ (Z.43)

All dies geschieht „im Zeichen Hattingtons“ (Z.62): Obwohl nicht eine Seele in der Stadt Hattington oder auch nur einen Hinweis auf ihn zu Gesicht bekommen hat, ist die Angst vor ihm allgegenwärtig. Die erwähnten Jugendlichen rotten sich zusammen, schlagen +über die Stränge (Z.45) und errichten ein regelrechtes „Schreckensregiment“ (Z.46); nur aus Furcht, eines Tages Hattingtons Opfer zu werden“ (Z.49)

Die Suche nach dem Flüchtigen resultiert in einer „Hexenjagd“ (Z. 38), die zwar nicht zum eigentlichen Ziel führt, dafür aber eine große Anzahl an Geheimnissen ans Licht bringt (Z.39) woraufhin betroffene Menschen wie Verbrecher behandelt (Z.40), bedroht (Z.63) oder gemieden (Z.42) werden.

Der zweite Mord ist in dieser Hinsicht besonders interessant. Im März wird Madison, der Tankstellenwart, erdrosselt und mit einem Kainsmal versehen (Z.56).

Kain, der dafür bekannt ist, seinen eigenen Bruder ermordet zu haben, war laut der Bibel der erste Mörder in der Geschichte der Menschheit. Offenbar ist jemand in Knox davon überzeugt, dass Madison ein Mörder, oder zumindest ein Sünder ist- und wird, um ihn dafür zu strafen, selbst zum Mörder.

Dieses Beispiel verdeutlicht die Kettenreaktion, die Hattingtons Ausbruch zur Folge hat: auf die vergebliche Suche folgt Misstrauen, was zur Verdächtigung führt. Indem man sich an dem Verdächtigen für seine (angebliche) Tat rächt, kommt es zur Gewalt. Obwohl Hattington nicht mit einem einzigen Menschen in Kontakt tritt, folgt auf seinen Ausbruch der Tod mehrerer Menschen.

Das Kainsmal eignet sich noch in einer anderen Hinsicht als Symbol für die Geschehnisse in Knox: Kain war nicht nur irgendein Mörder, nein, er hat seinen eigenen Bruder ermordet.

Und genau das
ist es, was in „Bericht über Hattington“ geschieht; die Menschen richten ihr Misstrauen (und Schlimmeres) gegen ihre unmittelbaren Nachbarn, die Menschen, denen sie zuvor vertraut haben.

Sogar der Arzt, der mit Sicherheit schon vielen Menschen geholfen hat, wird Opfer der Geschehnisse (Z.61).

Da seine jüdische Herkunft erwähnt wird (Z.61), und das im selben Satz wie die „Negergruppe, [die] gelyncht“ (Z.61) wird, ist der Bezug zu Gräueltaten im 3. Reich schwer übersehbar.

Das Dritte Reich, Vogelfreiheit (Z.65) und „Hexenjagd“ (Z38)- alles Beispiele aus der Vergangenheit, bei denen es zu gewalttätigen Übergriffen oder sogar Massenmord kam, weil ein Großteil der Bevölkerung von etwas angestachelt (sei es die Angst vor Hexen oder Propaganda des Staates) gewalttätig wurde, oder zumindest r nicht dagegen unternahm.

Der Zustand in Knox erinnert genau „an die[se] schlimmsten Zeiten“ (Z.38).

Der Hang zu Misstrauen und Gewalt scheint also etwas sehr Menschliches zu sein, da es heute, beziehungsweise 1963, genauso verläuft wie in der Vergangenheit.

Dass kaum eine Person in „Bericht über Hattington“ namentlich genannt wird, verdeutlicht, dass es nicht um einzelne Personen geht und wie bereits festgestellt auch nicht um bestimmte Zeitalter. Nein, der Mensch scheint als Kollektiv die Neigung zu haben, wenn er sich vor etwas fürchtet, mit Misstrauen und Gewalt zu reagieren.

Nicht Hattington trägt die Schuld an den gewaltreichen Monaten, geprägt von Angst und Misstrauen, sondern alleinig die Leute der Stadt, von denen laut dem Ich-Erzähler kaum einer „frei von Schuld“ (Z.76) ist.

Die Identität des Mörders wird in der Kurzgeschichten nicht geklärt, weder die Städter noch die Leser erfahren sie.

Der Ich-Erzähler allerdings hat nicht nur eine Vermutung (Z-74), sondern scheint sehr genau Bescheid zu wissen. „Sonst weiß niemand, wer der Täter ist“ (Z.75) klingt immerhin sehr nach so etwas wie „außer mir weiß es niemand“.

Warum er sein Wissen niemandem mitteilt, geht aus seinen Aussagen nicht eindeutig hervor, lässt aber Raum für Vermutungen.

Wäre er selbst der Täter, gäbe es einen guten Grund zu „schweige[n]“ (Z. 74), allerdings kann an dies aufgrund der Aussage „ich habe einen […] Verdacht“ (Z. 74) wohl ausschließen.

Ein Grund für sein Schweigen könnte sein, dass er der Meinung ist, dass der Mörder sich nicht allzu sehr vom Rest der Stadt unterscheidet, immerhin ist er davon überzeugt, dass keiner, oder zumindest kaum einer, wirklich unschuldig ist.

Wozu also einen weiteren Verdächtigen in den Raum werden, nachdem es gerade „still [ge]worden“ (Z.72) ist und damit die Lawine möglicherweise erneut ins Rollen bringen?

„Bericht über Hattington“ zeigt sehr deutlich, was Angst mit den Menschen macht und dass dies rein gar nichts mit einzelnen Personen zu tun hat, sondern wie grausam eine Menschenmasse sein kann, in der untereinander kein Vertrauen mehr herrscht.



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