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Interpretation – Hans Joachim Schädlich: Am frühen Abend (1987) - Referat



Hans Joachim Schädlich


Kurzbiografie:

Der deutsche Schriftsteller Hans Joachim Schädlich wurde am 8. Oktober 1935 in Reichenbach (Vogtland) geboren. Nachdem er fünf Jahre lang in Berlin und Leipzig Germanistik und Linguistik studierte, wurde Schädlich 1960 mit einer sprachwissenschaftlichen Arbeit promoviert. Bis 1976 war er an der Akademie der Wissenschaften der DDR in Ost-Berlin angestellt und war danach als freier Übersetzer tätig. Gegen Ende der 1960er Jahre begann er mit dem Verfassen literarischer Texte, die jedoch aufgrund der DDR-Zensur nicht veröffentlicht wurden. Infolge des Erscheinens seines regimekritischen Werkes „Versuchte Nähte“ wurde dem Schriftsteller Staatsfeindlichkeit und „Herabwürdigung“ der DDR vorgeworfen und das Ministerium für Staatssicherheit wurde auf ihn aufmerksam.
Im Winter 1977 wurde Schädlich Ausreise gewährt und siedelte mit seiner Familie in die Bundesrepublik Deutschland über. Vorerst lebte er in Hamburg, zwei Jahre später zog er nach West-Berlin um. Die ersten Jahre in der BRD wären nach Schädlich selbst schwierig geswesen und er musste sich erst neu orientieren, sammeln und sich gedanklich von der DDR „entwurzeln“. In seiner Prosasammlung von 1986 machte er seinen innerdeutschen Wechsel zum Thema und im selben Jahr erschien sein erster Roman „Tallhover“.
Nach der Einsicht in Stasi-Akten erfährt Schädlich Anfang der 90er Jahre von der inoffiziellen Mitarbeit seines älteren Bruders bei der Staatssicherheit. Dies verarbeitete er noch im selben Jahr in einer Erzählung. Heute ist Hans Joachim Schädlich Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er ist Vater zweier Töchter und eines Sohnes.

Werk:

Schädlich bezeichnet sein Werk nicht als Teil der DDR-Literatur, auch wenn dieses System in einigen Texten als Thema diskutiert wird. Er hat versucht dem Leser mit gesellschaftlichen Realitäten den Sachverhalt näherzubringen, sodass sich ihm neue, aufklärende Erkenntnisse ergeben. Dabei distanziert sich der Schriftsteller von den eigentlichen Kernpunkten. Theo Buck bezeichnete diesen Werdegang als einen „Weg von der Annäherung zur Distanzierung“. Er zielt außerdem bei seinen Werken nicht auf leichte Verständlichkeit, dem Leser sollten sich bei der Sprache einige Widerstände ergeben. Dies gelingt ihm mit Umschreibungen und Verfremdungen.
Schädlich schrieb in einem Essay: „Das kann das Beharren auf einem Stoff, einem Gegenstand sein, der der leichten Sagbarkeit widersteht. Also der Widerstand gegen – je nach den Verhältnissen – Modisches oder Genehmes […] Das kann der Widerstand der sprachlichen Form gegen billige Konsumierbarkeit sein, ein Widerstand, der durch Arbeit an der Sprache geleistet wird.“


Interpretation – Hans Joachim Schädlich: Am frühen Abend (1987)

Die Kurzgeschichte des deutschen Schriftstellers Hans J. Schädlich „Am frühen Abend“ von 1987 stammt aus dem Werk „Ostwestberlin“. Dieses Buch handelt von einem Herrn namens Schott, der in den späten 80er Jahren vom Osten Deutschlands nach Westberlin zog und versucht, sich in die neue Umgebung einzuordnen. Es können dabei viele Parallelen, hinsichtlich äußerer Merkmale und Verhaltensweisen, zum Leben des Autors gezogen werden. Grundlegend behandelt dieser Text die verschieden gesellschaftlichen Schichten in der Bevölkerung und deren Beziehungen zueinander. In diesem Szenario wird dies durch einen Handelsreisenden und einen wahrscheinlich obdachlosen Mann dargestellt.
Es beginnt damit, dass der junge Geschäftsmann Saller in einem kalten Wintermonat die Bahnhofshalle von Schwäbisch Hall betritt. Als er auf seinen Zug wartet, bemerkt er einen äußerlich verwahrlosten Mann vor einem Ofen auf dem Boden liegen. In einem Gespräch stellt sich heraus, dass der Wohnungslose starke Verletzungen an den Beinen hat und sich deshalb nicht von allein aufrichten kann. Ihm würde niemand helfen, weder Arzt, Polizist, Gott oder Leute, die an ihm vorbei gehen. Saller versucht dem Mann zuzureden und Hilfe anzubieten. Doch als der Stuttgarter Zug einfährt, steht der Handelsreisende auf, verabschiedet sich und geht zum Bahnsteig. Darauf sagt der verletzte Mann, dass Saller ihm auch nicht helfe.
Die Kurzgeschichte folgt einer linearen Struktur, die Handlung umfasst nur wenige Minuten und die Erzählzeit kommt der erzählten Zeit gleich. Nach einer Einleitung aus der auktorialen Erzählperspektive [Z. 1-21] folgt eine Dialogpassage zwischen den beiden Männern, die sich noch nie zuvor gesehen haben. Der wohnsitzlose Herr, dessen Name nicht erwähnt wird, wird äußerlich sehr detailliert beschrieben [Z. 18-21]. Durch sein Erscheinungsbild, seine missliche Lage und äußerst einfache, kolloquiale Sprache [Z. 25, 34, 50 f.] wird einem schnell seine soziale Position klar.¬¬ ¬¬¬¬Im Gegensatz zu Saller, der offenbar wohlhabender ist, hat es den starken Anschein, dass sich der Mann in der untersten Gesellschaftsschicht befindet. Er scheint schon des Öfteren große Enttäuschungen erlebt und viele beleidigende Worte gehört zu haben [Z. 45 f., 53].
Dies spiegelt sich auch im Verhalten und der Ausdrucksweise des Mannes wieder. Über seine Situation klagend, hat er anscheinend seine Zuversicht auf Hilfe und bessere Lebensumstände verloren, [Z. 50-53], wirkt deshalb bedrückt und hoffnungslos.
Der Handelsreisende Saller tritt als eher ruhige, ausgeglichene Person in dieser Handlung auf. Mit voller Neutralität antwortet er dem Mann und stellt ihm konsequent kurze Fragen [Z. 32, 47, 48, …]. Außerdem eröffnet er das Gespräch mit einer ungraziösen Aussage, dass es zu kalt auf dem Steinfußboden sei [Z. 22], anstatt einen eher warmherzigeren Dialogsbeginn zu wählen. Über sein Äußeres hingegen wird nichts berichtet.
Rhetorischen Figuren werden in diesem Text nur vereinzelt eingesetzt (z.B. eine rhetorische Frage) [Z. 39]. Dennoch existiert eine sprachliche Auffälligkeit in dieser Kurzgeschichte. In der Konversation zwischen dem Obdachlosen und Saller verwendet der Autor bei jeder Aussage die Inquit-Formel („[…], sagte der Mann“) [Z.29].

Die Kurzgeschichte zeichnet sich durch die üblichen Merkmale dieser Textsorte aus. Das Geschehen wird dabei durch die erlebte Rede vermittelt [Z. 29] und auf einen kurzen Zeitraum reduziert, es gibt einen unvermittelten Beginn und ein für den Leser offenes Ende, ein Thema aus dem alltäglichen Leben wurde gewählt, der Dialog ist auf einer einfachen sprachlichen Ebene gehalten und der Text an sich weist die typische äußere Kürze auf.
Die zentrale Problemstellung dieses Schriftwerks wird durch die unterlassene Hilfe Sallers gegenüber dem Obdachlosen dargestellt. Als sein Zug nach Stuttgart einfährt ist die ungünstige Situation des Mannes für ihn wahrscheinlich sofort uninteressant und er schreitet Richtung Bahnsteig davon [Z. 55-56]. Er hilft mir auch nicht, sagt der Verletzte abschließend zu diesem Umstand [Z. 57]. Auch im vorherigen Verlauf zeigt sich der eher dürftige Enthusiasmus, etwas für den mittellosen Mann zu tun. Saller bringt einzig und allein Vorschläge, was der Obdachlose als nächstes machen könnte [Z. 38, 47, 49]. Wenn man die Situation etwas tiefgründiger betrachtet, kann man sagen, dass die finanzstärkere Gesellschaft, hier verkörpert durch den Handelsreisenden, im gewissen Sinne jenen, die auf der Straße leben ein besseres Leben wünscht. Diese Vorstellung setzten die Wohlhabenderen aber nicht in die Tat um. Dargestellt wir dies an der Stelle als Saller dem ihn Unbekannten, stellvertretend für alle Obdachlosen in Deutschland, einen Platz auf der Bank, sprich einem höheren Stand in der Sozialstruktur, anbietet, aber das kann der Mann (die verarmte Bevölkerung) nicht aus eigener Kraft schaffen [Z. 27-29]. Wenn letztendlich Polizist, Arzt oder ein Saller ihnen keine Hilfe leistet, können sie den Aufstieg, ausgezeichnet durch einen Wohnsitz, gesichertes Einkommen und ähnliches, niemals schaffen. Der Titel „Am frühen Abend“ kann darauf bezogen, die Bedeutung einer Warnung haben. Sobald es komplett dunkel geworden ist, immer mehr Wohnungslose auf den Straßen leben, wird es zunehmend schwieriger diese Problemstellung in den Griff zu bekommen.

Eine deutliche Kritik des Autors an der Gesellschaft wird durch diese Kurzgeschichte ausgedrückt. Auch heute noch hat dieses Thema eine große Bedeutung, da die Zahlen der Obdachlosen in Deutschland kontinuierlich steigen. Eine Umfrage von 2010 ergab, dass über die Hälfte der über 25.000 Befragten einen Zuwachs der Obdachlosigkeit in den letzten Jahren wahrgenommen habe. Das heißt, wenn nicht bald gegen dieses immense Problem vorgegangen wird, kann es passieren, dass man die Herausforderung nicht mehr stemmen kann.





Quellen:

http://www.lovelybooks.de/autor/Hans-Joachim-Sch%C3%A4dlich/, 14.09.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Joachim_Sch%C3%A4dlich, 14.09.2013

http://www2.dickinson.edu/glossen/heft15/muller.html, 15.09.2013

de.statistica.com/statistik/daten/studie7183155/umfrage/meinung-zur-entwicklung-der-anzahl-der-obdachlosen/, 16.09.2013

Hans Joachim Schädlich: Literatur und Widerstand. In: Der andere Blick. Aufsätze, Reden und Gespräche. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2005, S. 13






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