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Dürrenmatt: \"Der Besuch der alten Dame\" Szenenanalyse - Referat



Szenenanalyse 2. Akt (S. 67 – 72)

In der zu analysierenden Szene im zweiten Akt der tragischen Komödie „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt geht es um eine Unterhaltung zwischen Alfred Ill und dem Bürgermeister von Güllen. Das Buch ist 1956 entstanden, in der Nachkriegszeit, die geprägt ist von Armut, Geldnöten und dem auftretendem Wirtschaftswunder.
Obwohl es keine „Schlüsselszene“ ist, ist sie trotzdem bedeutsam um die spätere Entwicklung von Ill zu verstehen, der Leser erfährt so einiges über den Charakter von Alfred Ill.

In der Szene geht es um eine Unterhaltung zwischen Ill und dem Bürgermeister von Güllen. Alfred Ill sucht ihn auf, weil er seit dem Vorschlag von Claire Zachanassian, die eine Milliarde für seinen Tod geboten hat, immer mehr Angst bekommt und nun Schutz will. Doch anstatt im Bürgermeister einen Verbündeten zu finden, wehrt ihn dieser ab und zum Schluss ist Ill noch verzweifelter als vorher.

Am Anfang der Unterhaltung kommt Alfred Ill auf den Bürgermeister zu und wirkt noch ganz offen: „’ Ich habe mit Ihnen zu reden, Bürgermeister’“ (S. 67). Seine Motive sind gut nachvollziehbar; Ill fühlt sich verunsichert, allein und unverstanden und so will er Klarheit und sucht einen Verbündeten, der ihm die Wahrheit sagt. Solch eine Person sieht er also am Anfang in dem Bürgermeister, mit dem er doch so viele Gemeinsamkeiten zu haben glaubt: „’Von Mann zu Mann. Als ihr Nachfolger.’“ (S. 67).

Doch diese beabsichtigte brüderliche oder inoffizielle „Verbindung“ zum Bürgermeister aufzubauen, gelingt ihm nicht. Schon nach dieser allerersten noch ehrlichen Annäherung wird der Verlauf durch Ills Blick auf den Revolver vom Bürgermeister unterbrochen. Das Gespräch nimmt mit diesem aufgetauchten Symbol des Todes eine sofortige Wende. Ab jetzt ist Ill misstrauisch und die beiden Männer stehen nicht mehr auf der gleichen Ebene. Das Vertrauen zwischen ihnen scheint wie ausgelöscht: „ILL misstrauisch: Ein etwas großer Aufwand“ (S. 67).




Der Bürgermeister scheint zu Beginn erst noch etwas unsicher und weiß nicht wie mit der Situation umzugehen. So spielt er den „dummen“ Unwissenden, nimmt ihn nicht ernst, wehrt ihn zu Anfang einfach nur ab: „’Das ist mir das Allerneuste. Wäre erfreulich.’ (….) ‚Ei. Wozu denn?’“ (S. 68).
Durch die häufig verwendeten Ellipsen wirkt er auf den Zuschauer vor allem desinteressiert: „Ill: Eine neue Krawatte? / Bürgermeister: Seide.“ (S. 68).
Weiter spielt vor, Ills Gedankengänge nicht nachvollziehen zu können. Er geht nicht auf Ills Forderungen ein, sondern will ihn von seinen total gegensätzlichen Ansichten überzeugen: „’…, das müssen Sie einsehen.’ (S. 71) / „’Es ist besser,…’“ (S. 71).

Auf dem Höhepunkt des Gesprächs angekommen, wo am meisten Spannung für den Leser entsteht, diskutiert er sehr aufgebracht. Er lässt Alfred Ills Beschuldigungen überhaupt nicht an sich heran, sondern fängt selbst an, Ill zu beschuldigen: „’Sie haben schließlich (…) ein Mädchen ins nackte Elend gestoßen.’“ / „’Sie besitzen nicht das moralische Recht.’“ (S. 70).
Er ist der Meinung, Ill würde mit seiner Angst die Ehre der Menschen in Güllen verletzten und versucht, sie zu verteidigen: „’Gegen diese Verleumdung protestiere ich im Namen der Stadt feierlich.’“ (S. 71).

Der Bürgermeister ist in Wirklichkeit sehr unsicher und weiß nicht recht, wie er handeln soll, jetzt, wo er eine ernste Angelegenheit zu bewältigen hat.
Deshalb beruft er sich vorteilhaft auf seinen Posten, seine Stellung in der Gemeinde und seine „Verantwortung“ als Politiker. So wirkt das nächste Geschehen geradezu grotesk;
Der Mann redet ab der Mitte der Unterhaltung (ganz im Gegenteil zum Anfang) nur so drauf los über humanistische Tradition und Rechtsstaatlichkeit, täuscht moralische Handlung vor. Doch gleichzeitig wird eine neue Schreibmaschine für ihn auf die Bühne gebracht, ein weiteres Anzeichen um Ills Verdacht zu verstärken und die Worte des Bürgermeisters als „leer“, „hohl“ und nicht wahr aussehen zu lassen: „’Die neue Schreibmaschine, Herr Bürgermeister’“ (S. 69).
Er versucht sich ein wenig aus allem rauszureden und steht weder auf der Seite von Claire, noch auf der von Ill: „’Dass wir den Vorschlag der Dame verurteilen, bedeutet nicht, dass wir die Verbrechen billigen, die zu diesem Vorschlag geführt haben.’“ (S. 70).

Aus seiner Unsicherheit heraus, aber um trotzdem so zu wirken, als wüsste er, wo es lang geht, verlangt er, so zu tun als ob nichts wäre, nicht zu handeln, alles einfach zu vergessen. Dies wird zum Beispiel durch die Verwendung der Metapher „Mantel des Vergessens“ (S. 71) deutlich.

Dadurch, dass der Bürgermeister ja von Anfang an nur typisiert ist, stellt Dürrenmatt in dieser Situation damit auch allgemein Politiker kritisch in Frage. Dieses gewisse Problem des Bürgermeisters, nicht wirklich „anzupacken“ zu können, lässt sich nicht nur hier auf diese spezielle Person im Buch beziehen.


In der Szene kommt außerdem eine besondere Charaktereigenschaft von Alfred Ill zum Vorschein, die sich auch hervorragend auf sein Verhältnis mit Claire beziehen lässt: Er ist sich selbst seiner Gefühle nicht ganz bewusst, wirkt manchmal doch etwas abwesend und in sich zurückgezogen, ab dem
Ende der Szene verzweifelt und ohne Hoffung.
Obwohl er (wie es aussieht ganz offensichtlich) aus sich heraus gehen will, die Persönlichkeiten in Güllen aufsucht, Klarheit will und sein Problem in den Griff kriegen will, ist er dennoch auf der anderen Seite ganz anders und eher in sich zurück gezogen, was man erkennen kann, wenn man genau hinguckt: Als es im Gespräch zwischen dem Bürgermeister und Ill erstmals anfängt, ernst zu werden, genau an der Stelle des ersten Höhepunktes, wo der Bürgermeister zum ersten mal auf ihn eingeht, interessiert wirkt und ihn auf seine Angst anspricht: „’Fürchten?’“ (Z. 68)- genau da, wo er dann seine Chance gehabt hätte, geht die Distanzierung der beiden Gesprächspartner ausgerechnet von Ill aus: „’Das wissen der Herr Bürgermeister schon’“ (S. 68). Durch die jetzige Verwendung der 3. Person Plural statt der Anrede in der 2. Person, distanziert er sich sprachlich vom Bürgermeister.

Weiterhin hat er aus seinem Besuch bei der Polizei gelernt: „’Ich war bei der Polizei’“ (S. 69) und spricht sein Problem nicht mehr direkt und konkret an. Als er es nämlich auf den Punkt bringen soll, redet er im PASSIV:
„’Für meinen Kopf ist eine Milliarde geboten.’“ (S. 69). / „’Man schmückt schon meinen Sarg’“ (S. 71). Statt auf das aufzuschließen, was wirklich und Realität ist, nämlich das Aktiv: dass CLAIRE sein Problem ist, es von IHR ausgeht und es nicht einfach nur die Tatsache des gebotenen Geldes ist!
Dieser Satz ist besonders wichtig, denn hätte sich Ill von Anfang an wirklich konkret mit IHR auseinandergesetzt und seinem Problem klar ins Gesicht geblickt, wäre das Drama ganz anders verlaufen. Stattdessen schleicht er sich wieder „hinten rum“, sucht bei starken Persönlichkeiten Schutz, anstatt sich konkret an Claire zu wenden. Im weiteren Verlauf nennt er sie immer nur „die Dame“: „’Dann verhaften Sie die Dame.’“ (S. 70).

War Ill zu Beginn erst nur misstrauisch, verstärkt sich dieses Gefühl später immer mehr. Seine zunächst „leere“ und vielleicht noch unbegründete Panik wird durch eindeutige Handlungsvorgänge auf der Bühne immer deutlicher.
So wird mitten im Gespräch gleichzeitig der Panther gejagt, der eine Assoziation zu Ill selbst darstellt: „’Der Panther ist frei! Der Panther ist frei!’“ (S. 69).
Weiterhin bemerkt Ill im Büro des Bürgermeisters den Plan für ein neues Stadthaus: „’Ich sehe einen Plan an der Wand.’“ (S. 72).
Er ist nachher von seinem eintretenden Tod überzeugt und seine pure Verzweiflung zeig sich in seinen letzten Sätzen am Ende der Szene: „ILL leise: Der Plan beweist es! Beweist es“ (S. 72).



Abgesehen von Misstrauen und Distanz, weißt die Beziehung von Alfred Ill und dem Bürgermeister noch weitere Anhaltspunkte auf;
Die Gedankengänge der beiden Beteiligten gehen während des Gesprächs auseinander. Sie reden eher aneinander vorbei als miteinander und gehen nicht richtig auf die Fragen oder Äußerungen des anderen ein: „Der Bürgermeister: Das wird sie beruhigt haben./ Ill: Im Munde des Polizeiwachtmeisters blitzt ein neuer Goldzahn.“ (S. 69).
Die Distanz wird gut durch Ills körperliche Abgewandtheit sichtbar. Statt sich dem Bürgermeister zuzuwenden, sieht er aus dem Fenster: „Er geht langsam links zum Fenster, kehrt dem Bürgermeister den Rücken zu, starrt hinaus.“ (S. 70).



Ich finde besonders Ills Entwicklung in diesem Akt interessant. Er versteht nach und nach, dass irgendetwas gewaltig nicht stimmt, kann dies aber nicht wirklich greifen und so entwickelt sich aus seiner Unklarheit in ihm eine leise und stumme Verzweiflung, Hilflosigkeit, er fühlt sich unverstanden. Am Ende dieser Entwicklung steht nachher die pure Todesangst.
Meiner Meinung nach geht die Distanzierung der beiden Männer während der Unterhaltung vor allem – aber eben nicht nur - vom Bürgermeister aus. Es ist nicht so, dass Ill wirklich nur das Opfer von allem ist, sondern seiner teilweise eingeschränkten Sichtweise verdankt er seine Probleme. Er hat einfach nicht aus den Fehlern seiner Vergangenheit gelernt. Es geht hier nicht nur darum, wie Geld und Gerechtigkeit zusammenhängt, wie die Güllener auf alles reagieren, sondern mindestens ebenso interessant und bedeutsam ist in „Der Besuch der alten Dame“ das Innenleben dieses Mannes.


Dieses Referat wurde eingesandt vom User: tennisspielerineva



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