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"Wanderers Nachtlied" von Johann Wolfgang Goethe - Gedichtinterpretation - Referat



Johann Wolfgang von Goethe
„Wanderers Nachtlied“


Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest.

- Ach, ich bin des Treibens müde,
Was soll all der Schmerz und Lust? –
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!


Das Gedicht „Wanderers Nachtlied“ von Johann Wolfgang von Goethe entstand im Februar 1776 nördlich von Weimar auf dem Ettersberg.

Unter dem gewählten Titel „Wanderers Nachtlied“ entsteht für den Leser der Eindruck, dass der Text von einem müden Wandersmann handelt, der sich nach einem anstrengenden Fußmarsch zur Nachtruhe betten will. Es stellt sich allerdings die Frage, ob dem nicht eine tiefere Bedeutung zu entnehmen ist.

Unter diesem Gesichtspunkt sollte der Text genauer betrachtet werden.

Aufbau und verwendete poetische Mittel:
Das Gedicht besteht aus zwei Strophen zu jeweils vier Versen. Goethe gebraucht den ge-bräuchlichen und liedhaft wirkenden Kreuzreim (a – b – a – b). Es werden außerdem sog. „unreine Reime“ verwendet („stillest“ - „füllest“; „müde“ - „Friede“).
Sämtliche Verse enthalten einen 4-hebigen Trochäus (xx), mit Ausnahme der vorletzten Zeile: auf Grund der lediglich zwei enthaltenen Hebungen („Süßer Friede“) „springt diese dem Leser sofort ins Auge“. Auf den ersten Blick ist erkennbar, dass sich der Inhalt des Textes allein um den „süßen Frieden“ dreht.
Weiterhin ist festzustellen, dass die Verse zum Teil katalektisch (verkürzt) sind und abwechselnd mit einer stumpfen oder weichen Kadenz (männliche oder weibliche Endung) enden.
Der Aufbau des Textes ist zudem übersichtlich und klar strukturiert. Die erste Strophe besteht aus einem Hauptsatz, in den ein Relativsatz eingeschoben wurde. Die zweite Strophe setzt sich aus einer Frage und einem Imperativsatz (Aufforderung) zusammen.
Bei der ersten Strophe ist auffallend, dass der Sinn des Satzes über das Versende hinausgeht (Enjambement) sowie die übliche Satzstellung (Subjekt – Prädikat – Objekt/Adjektiv) verändert wurde (Inversion). Der Satz wird in diesem Fall anstelle des Subjekts mit dem Prädikat, Objekt oder Adjektiv begonnen („Der du von dem Himmel bist“, „Doppelt mit Erquickung füllest“). Wie es vorliegend der Fall ist, kann das Subjekt gänzlich entfallen.

Ein besonderes Augenmerk stellen die Wiederholungen dar, die im gesamten Text verteilt sind. Zu diesen sog. Anaphern zählen die Wörter „Schmerz“, „doppelt“, „ach“ und „komm“. Diese Wiederholungen sollen nicht auf eine Einfallslosigkeit des Verfassers hindeuten, sondern die Aussage, die er den Lesern zu vermitteln hat, lediglich verdeutlichen.
Goethe verwendet als weiteres sprachliches Mittel das Hendiadyoin (aus dem Griechischen, bedeutet „eins durch zwei“). Durch den Ausdruck „Leid und Schmerzen“ im 2. Vers verdeutlicht er die empfundene Pein. Diese Wortwahl verleiht seiner Aussage Nachdruck.

Inhalt und Deutung:
Goethe spricht in seinem Gedicht nicht für sich selbst und tritt ebenfalls nicht als objektiver Sprecher auf. Er „schlüpft“ in die Rolle eines anderen und verwendet ein sog. „lyrisches Ich“. Dieses „lyrische Ich“ existiert nur in der Gedankenwelt des Autors. Es ermöglicht ihm, sich auf jede erdenkliche und unterschiedlichste Weise zu verwirklichen. (Zudem dient es so manchem Autor zur Problembewältigung jeglicher Art.) Dieser Teil der Lyrik wird auch als Gedankenlyrik bezeichnet.

Das von Goethe verwendete „lyrische Ich“ führt ein scheinbares Zwiegespräch mit dem „süßen Frieden“. Allerdings ist dieser Dialog einseitig. Es erfolgt keine Antwort des „süßen Friedens“.

Beim Lesen drängt sich immer mehr die Frage auf:
„Wer oder was ist der „süße Frieden“?

Dem Titel nach zu urteilen, handelt
es sich um die Sehnsucht nach dem wohlverdienten und erholsamen Schlafs eines erschöpften Wanderers.
Durch die vom Autor gewählten Worte liegt jedoch eine andere Vermutung nahe.
Was, außer dem Schlaf, stillt Leid und Schmerzen (vgl. Vers 2)?
Was wird vom Himmel gesandt (vgl. Vers 1)?

Meines Erachtens handelt es sich hierbei um Tod. Durch den Tod wird jeder Mensch von seinem Leiden erlöst. Sämtliche Schmerzen sind mit einem Mal verflogen. Ob jeder Mensch eine „von oben“ vorherbestimmte Lebensdauer hat, kann leider nicht geklärt werden. Da Goethe in einem christlichen Elternhaus aufwuchs, ist anzunehmen, dass seinem Glauben nach die Lebenszeit und –dauer von Gott vorherbestimmt ist. Ein weiterer Anhaltspunkt hier-für ist das Glaubensbekenntnis der Christen („...er wird kommen, um zu richten die Leben-den und die Toten...“).
Goethe hat in seinem Text ein sehr euphemistisches Synonym für den Tod gewählt. Dieses soll dem Leser, und vielleicht auch Goethe selbst, die Angst vor dem Tod, die jeden Lebenden früher oder später erfasst, nehmen bzw. mindern. Durch das geführte Zwiegespräch mit dem „süßen Frieden“ personifiziert er den Tod. Er beschreibt ihn in der ersten Strophe als „Erquickung“. Er macht ihn für die Leser greifbar und verständlich.

Im Verlauf der zweiten Strophe vermittelt das „lyrische Ich“ dem Leser einen lebensmüden Eindruck. Dies ist der Aussage „Ach, ich bin des Treibens müde“ zu entnehmen. Die von ihm gestellte rhetorische Frage „Was soll all der Schmerz und Lust?“ verstärkt diesen Eindruck.
Er fleht regelrecht darum, zu sterben und von seinem Leid erlöst zu werden: „Süßer Friede, komm, ach komm in meine Brust!“. Die Interjektion (Empfindungswort) „ach“ betont insbesondere die Bitte um Erlösung.

Der „süße Friede“ soll in die Brust des „Ichs“ eindringen. In der Brust sitzt das Herz – Sinnbild des Lebens. Ohne ein schlagendes Herz sind wir Menschen nur eine leblose Hülle. Der Blutkreislauf stockt, der gesamte Organismus kommt zum Erliegen. Wir sterben.
Bei manchen Bevölkerungsgruppen gilt das Herz als Sitz der Seele. Bleibt das Herz stehen, so stirbt ebenfalls die Seele eines Menschen. Diese ruht dann – hoffentlich – im ewigen „süßen Frieden“.


Ich denke, dass eine Wanderung mit dem von Geburt an zu beschreitenden Lebensweg zu vergleichen ist. Jeder trifft auf Hindernisse, schwierige Gelände oder scheinbar unüberwindbare Abgründe. Gegen Ende der Wanderung, also des Lebens, lassen die Kräfte nach, der Körper schmerzt. Man bittet letztlich den Tod um Erlösung.

Johann Wolfgang von Goethe spricht mit seinem Gedicht „Wanderers Nachtlied“ aus der Seele jedes Sterbenden / unheilbar Kranken / Todkranken / Todgeweihten.

Dieses Referat wurde eingesandt vom User: Püppi84



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