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Heinrich von Morungen: Narzißlied Interpretation - Referat



Lebensdaten:
Heinrich von Morungen wurde um 1150 geboren. Wahrscheinlich ist er identisch mit dem Hendricus von Morungen, der auf der Burg Morungen in der Nähe von Sangerhausen zur Welt kam. Für die thüringische Heimat spricht auch der Dialekt des Dichters. 1217 trat Hendricus in Leipzig ins Thomanerkloster ein, dort soll er 1222 verstorben sein. Der Klostereintritt wird durch eine Urkunde festgestellt, in der er den Verzicht auf eine Jahresrente, die er vom Markgrafen Dietrich IV. von Meißen erhielt, zugunsten des Klosters erklärt. Damit hat er sich offensichtlich Kost und Logis bis zum Lebensende im Kloster gesichert. Quellen aus dem 16. Jahrhundert sprechen von einer Indienfahrt Morungens, nach der er in Leipzig verstorben sei. Dies ist wahrscheinlich aber nur eine Legende, die auf die Sage "vom edlen Moringer" (erstmals um 1300) zurückgeht.

"Mir ist es ergangen wie einem kleinen Kinde, / das sein reizendes Bild in einem Spiegel erblickte / und so lange nach dem eigenen Widerschein griff, / so sehr, bis es endlich den Spiegel ganz zerbrach"

Heinrich von Morungen beginnt so sein berühmtes, Narzißlied’, gedichtet an der Wende des 12. zum 13. Jahrhundert. Etwas Schönes ist da zerstört worden. Das Ich des Sängers, das hier spricht, vergleicht seine Hoffnung mit der dauerhaften Freude, die ihm der schöne Anblick seiner Dame ergab, mit der enttäuschenden Erfahrung des Kindes, dem unter seinen eigenen Händen sein Spiegelbild zerbricht. Ein großartiges Bild, das für ein Glück, welches ohne Leid nicht zu bekommen ist, steht.

Damit ist dieses Lied eines der schönsten, eindrucksvollsten und meistdiskutierten deutschen Minnelieder, weil es sich mit einer zweifachen erotischen Spiegel(ungs)szene auf den antiken Narzißmythos bezieht. Laut der christlichen Exegese zur antiken Mythologie tritt das Lied zugleich in den ambivalenten mittelalterlichen Spiegeldiskurs ein, den man mit den Schlagworten Selbstverlust und poetische Psychologie umschreiben kann.

Hierbei verwendet Morungen die Spiegel-Metapher . Im ,Narzißlied‘ (MF 145,1) erscheint die vrouwe gewissermaßen als Spiegel, als Spiegelbild, in dem sie ihm in ihrer Vollkommenheit als Ziel seines eigenen Strebens erscheint. Von zentraler Bedeutung für die Frage, wie weit nun Morungen tatsächlich die Funktionsfähigkeit des Modells hoher minne und damit den Sinn seines Sanges, seines Berufes in Frage stellt, ist das ‚Narzißlied‘ (MF 145,1), das wohl berühmteste, sicherlich aber meistdiskutierte aller seiner Lieder.

Das metrische Schema sieht folgend aus: 5a-6b, 5a-6b, b 5a-a-6b

Ein Grundprinzip der deutschen Metrik ist der (regelmäßige) Wechsel von betonten und unbetonten Silben. Auf diese Weise werden die sprachlichen Betonungsverhältnisse im Vers metrisch stilisiert. Die metrisch betonte Silbe wird als 'Hebung' bezeichnet, die unbetonte Silbe als 'Senkung'. Den regelmäßigen Wechsel von Hebung und Senkung nennt man 'Alternation'. Musikalisch wäre bei dieser Form eine Rundkanzone möglich.

Im ‚Narzißlied, reflektiert Morungen die Auswirkungen der begehrenden Wünsche des Ich, des Minneherrn, auf die Minnedame: Dem Ich wird in troumes wîs (MF 145,10) seine Dame ans oder gar ins Bett gebracht, und schon nimmt die Katastrophe - ob der hocherotischen Grundkonstellation - ihren Lauf: Der Minnende betrachtet seine Dame, doch es ist keine reine “Schau”, es ist ein ersehen, eine unstillbare, mithin leidenschaftliche, begehrende und verzehrende “Schau”. Zwar sieht er ir liehten tugende, ir werden schîn,/ schoen und ouch für alle wîp gehêret (MF 145,13f.), doch plötzlich bemerkt er eine Verletzung ihres Mundes, daz ein lützel was versêret/ ir vil vröuden rîchez mündelîn (MF 145,15f.). Diese Verletzung, die angesichts der sonst stets makellosen Darstellung der Minnedame vom Minnesangpublikum sicherlich als unbeschreiblich schrecklich empfunden werden musste, ist auf verschiedenste Art interpretiert worden.

Im Bild des verletzten Mundes, der schließlich zu verblîchen droht (MF 145,18), entwirft Morungen das Szenarium einer Minnebeziehung, die “Erfüllung” findet. Die Minnedame, die aufgrund ihrer Idealität zum Lohn verpflichtet, ja eigentlich auch bereit ist, darf um ebendieser Idealität willen niemals lohnen, da sie im Moment der Hingabe verloren ginge. Dies bedeutet wiederum - da Minnesang in erster Linie von Männern für Männer kultiviert wurde - das dem minnenden Ich selbst damit sein veredelndes “Spiegelbild”, sein verbindliches Lebensideal, mithin die Möglichkeit, sich im Dienst an der Dame Vervollkommnung und damit gesellschaftliche Anerkennung, êre und hôhen muot , zu verschaffen, entzogen wäre. Und schließlich würde sich gar - auf Minnesangebene - der Minnesang als der immer wiederholte sprachliche Vollzug des körperlichen Nichtvollzugs eliminieren.

Der Höhepunkt des Liedes liegt nun gerade darin, dass es diesen schmerzhaften Erkenntnisprozeß des Ich initiiert und dabei noch als Freudebringerin der Menschheit apostrophiert: Minne, diu der werelde ir vröude mêret,/ seht, diu brâhte in troumes wîs die vrouwen mîn (MF 145,9f.). Das bedeutet zwar zum einen, daß das Ich von höchster Stelle zur Einsicht aus Sicht der Minnedame verwerflichen wâns angehalten wird, zum andern aber - und das ist doch das Frappierende - daß Morungen hier explizit dafür sorgt, daß sich die minne, das Modell hoher minne selbst, ad absurdum führt und sich selbst unterstellt.

Der Hinweis darauf, daß Morungen im “Narzißlied” dem Minnesang - theoretisch(!) - die Grundlage entzieht, daß der Verzicht auf den wân die Gattung absurd erscheinen läßt, ist sicherlich richtig. Doch anderes ist nicht haltbar: Es ist nicht Morungen, der den gerenden wân unterhält oder irgendetwas von der Minnedame erhofft, sondern sein Ich, da der Autor etwas real existierendes, die Dame aber eine fiktive Setzung dieses Autors ist. Also unterhält Morungen keine reale Minnebeziehung.

Das “Narzißlied gilt eher als Ausdruck seines Reflexionsniveaus und damit seiner Begabung als Künstler. Die Erkenntnis der Dichotomie des Minnemodells scheint mit dem beruflichen Ethos kompatibel. Das “Narzißlied” ist interpretatorisch jedoch nicht eindeutig festlegbar, so daß es auch als Zeugnis der Zwänge und Abhängigkeiten gedeutet werden kann, denen Morungen als Dichter des 12. Jahrhunderts auf Kosten seiner dichterischen und didaktischen Glaubwürdigkeit ausgesetzt war.

Im Lied kann die Bedeutung
des Liebenden als Narziß als zielsetzende Aussage über die eigentümliche Minnekonzeption des Hohen Minnesangs verstanden werden. In dem das Ich den Anblick seiner Geliebten mit der Selbstliebe des Narziß vergleicht, sind es die sprachlichen Bilder, die Morungens Lieder im Minnesang um 1200 einzigartig machen. Die meisten Bilder werden aus den Bereichen des Lichts genommen, des Glänzens und Sehens, so dass neben Spiegel, Fenster oder Traum auch der Wechsel von Tag und Nacht die Eigenart der Liebe benennen. Das Aufblicken zur geliebten Frau als Stern, der Zauber, der von ihrer Erscheinung ausgeht, auch die in Traum oder Vision vorgestellte Begegnung sind charakteristische Motive, die bei Morungen wiederkehren und seine Lieder übergreifend verknüpfen.

Gibt es genügend wortwörtliche Beweise dafür, dass es sich um den antiken Sagenstoff des selbstverliebten Jünglings – des Narziß – handelt? Oder geht es doch um einen Minnesänger, der seine nicht vorhandene Perfektion in seiner geliebten Minnedame gespiegelt sieht?

Frage ist, ob dieses Lied im Laufe der Zeit zum Untertan des Narzißmus wurde, indem sich dieser kontinuierlich in die verschiedenen Interpretationen eingeschlichen hat oder ob das Lied diese Narzißtische Eigenschaft von sich aus mitbringt.

Dieses Lied eröffnet dem Leser und Interpreten eine große Anzahl von Verständnis- und Interpretationsmöglichkeiten. Dazu scheint das Lied mehrere Ebenen oder besser: mehrere Untersuchungs- und Interpretationsniveaus aufzuweisen. So fungiert jede Ebene als eine Art Steigbügel, der dem Interpreten den Einstieg in eine tiefere Schicht gewährt und erleichtert.

Zusammenfassend zeigt die erste Ebene eine kurze Inhaltsangabe der einzelnen Strophen des zu behandelnden Liedes.

In der ersten Strophe geht es um einen Vergleich zwischen dem Ich und einem Kinde, welches sein schoenez bilde (Strophe 1,Vers 2) in einem Spiegel ansieht, dieses dann aber zerstört, indem es solange nach dem Spiegel greift, bis dieser völlig zersplittert. Dies löst in ihm unendliches Leid aus. Der Sänger sieht sich in derselben Situation: er reflektiert darüber, dass er – gleich dem Kinde, das sein Spiegelbild anschaut – immer in diesen Momenten, in denen er seine geliebte Herrin ansieht, glaubt, froh zu sein.
Die zweite Strophe handelt sich vom ersten Kontakt zwischen dem Sänger und seiner geliebten und verehrten Dame. Bei diesem geht es um das Erblicken der Herrin, die dem Ich in troumes wîs (2,2) zugeführt wird. Dies geschieht von ganz alleine – es ereignet sich nämlich durch das Handeln der Liebe selbst. Der Sänger liegt zu dieser Zeit in einem seligen und wonneerfüllten Schlafe. Nun erblickt er die ihm zugeführte tugendhafte, erhabene und strahlend vollkommene Herrin. Diese Vollkommenheit wird allerdings mit dem letzten Halbsatz der zweiten Strophe etwas abgeschwächt: es wird beschrieben, dass ihr herrlich beglückendes rôtez mündelîn (2,8) ein wenig verletzt sei. In der vorletzten Strophe geht es dann wieder um das zuvor erwähnte verletzte Mündchen der Minnedame. Die Angst des Sängers, dass dieser Mund verblassen könnte, bringt ihn dazu eine neue Klage zu erheben. Durch den qualvollen Anblick des Mundes mit der Angst, er könnte einmal erbleichen, muss sein Herz starke Schmerzen verkraften. Darauf folgt – wie in Strophe eins – ein Vergleich zwischen dem Sänger und einem Kind. Bei diesem beschreibt das Ich seine Gefühlslage dahingehend, dass es ihm genauso ergehe wie einem Kinde, welches sein Spiegelbild einst in einem Brunnen entdeckte und dieses nun bis an sînen tôt (3,8) lieben müsse.

In der vierten und letzten Strophe widmet sich das Ich sich selbst. Der Sänger beschreibt hier, wie besonders seine Herrin ist und dass er sie zu seinem Selbstschutz meiden sollte; dieses für ihn jedoch nicht möglich erscheint. Er stellt außerdem fest, dass seine Herrin die vollkommenste aller Frauen ist. Das Lied endet damit, dass das Ich sein Ziel – ihre wunnenclîchen werden minne(4,6) – nicht erreicht hat und wieder am Anfang steht. Seine wunne (4,8) und auch sein gerender wân (4,8) ´begehrendes Hoffen´ sind letztlich also verschwunden.

Es sind grammatische Reime aufzufinden. Ein Grammatischer Reim ist eine Folge sich reimender gleicher Stämme, welche unterschiedlich gebeugt oder gebildet wurden. Zwar gleicht der Grammatischer Reim dem Polyptoton , doch handelt es sich streng genommen um keinen echten Reim. Zur Blüte kam die Stilfigur bei den Minnesängern, doch findet sie auch in der Neuzeit Anwendung.

„Mir ist geschehen als einem kindelîne,
daz sîn schoenez bilde in einem glase gesach
unde greif dar nâch sîn selbes schîne
sô vil, biz daz ez den spiegel gar zerbrach.”

Das ,Narzißlied’ deckt, eigentlich einen Widerspruch im Minnekonzept auf. Geliebt und angebetet wird etwas Irreales, Fiktives, Künstliches. Im Traum ist die Dame dem Sänger nah, doch ihre Perfektion beginnt zu zerbrechen, wie das Spiegelbild, nach dem das Kind griff. Wenn das Ich die Dame erreichen würde, bedeutene dies den Tod des Sanges. Deshalb muß am fiktiven Konzept der Dame, am Paradoxon des Minnegedankens festgehalten werden; die letzte Strophe stellt dies mit ihrem stereotypen Preis zur Schau.

Quellenverzeichnis:
https://de.wikipedia.org/wiki/Narziß#Mythos
https://de.wikipedia.org/wiki/Biblische_Exegese
https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2014/01/08/spiegelmetapher/
https://de.wikipedia.org/wiki/Ritterlichkeit
https://de.wikipedia.org/wiki/Hohe_Minne
http://web.letras.up.pt/europeanmasters/Material/mittelhochdeutsches_glossar.htm
https://de.wikipedia.org/wiki/Ethos
www.epub.uni-regensburg.de/9866/1/RSL9.pdf
www.ruhr-uni-bochum.de/50-jahre-germanistik/PDF/.../200808_SS.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Grammatischer_Reim
https://de.wikipedia.org/wiki/Metrisches_Schema



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